Keine Geborene.

Humoreske von Max Börner
in: „General Anzeiger für Duisburg und Umgegend” vom 12.12.1898,
in: „Essener Volkszeitung” vom 11.7.1896,
in: „Rhein- und Ruhr-Zeitung” vom 11.7.1896 - Text sehr schlecht lesbar


Glückliche Tage, selige Stunden verlebten die Liebenden, Lieutenant Graf Arthur von Halffen und Baronesse Adele von Sassen, in dem idyllisch gelegenen Wildbad, wo sie sich vor wenig Wochen kennen und lieben gelernt hatten.

Die beiderseitigen Mütter, die gleichfalls in dem Bade weilten, billigten die Liebe ihrer Kinder und erfreuten sich an deren Glück.

Nur manchmal blickte das Auge von Adelens Mutter ernst und sie dachte dann an ihren gestrengen Gemahl daheim, in Berlin.

Die Gräfin von Halffen, Arthurs Mutter, war Wittwe, und sie wünschte auf der Welt nichts mehr, als das Glück ihres einzigen Sohnes. Am liebsten hätte sie, wie auch Arthur, die Verlobung gleich der ganzen Welt verkündet, aber Frau von Sassen sträubte sich, ihr Mann sei so eigenmächtig und unberechenbar und sie müsse denselben erst auf das bevorstebende Ereigniß vorbereiten. Acht Tage später langten die beiden Familien in Berlin an.

Der Baron von Sassen war aufrichtig erfreut, seine Damen wieder zu haben, schon um der Whistparthie halber, welche sie sonst täglich zusammen spielten.

„Nun, Adele, wie hat es Dir denn in Wildbad gefallen?” fragte der Baron noch am selben Abend beim Spiel.

„Danke, Papachen! Sehr gut! Wir haben recht angenehme Bekanntschaften gemacht.”

„Bekanntschaften? Badebekanntschaften? Der Teufel hole sie alle!”

„Aber Mann, wenn die Reichenbachs oder die Halffens das hören würden!” unterbrach den Polternden die Baronin. „Mit diesen haben wir nur intim verkehrt.”

„Nun, nun, die kann ich freilich schon gelten lassen!” brummte der Baron beruhigt.

„Die Gräfin Halffen wird uns erster Tage einen Besuch abstatten”, bemerkte vorbereitend die Baronin.

„Ihr Sohn, der Lieutenant, auch!” fügte Adele unvorsichtig hinzu.

Der Baron warf klatschend seine Karten auf den Tisch, sein Antlitz glühte vor Zorn:„Also der Herr Lieutenant waren auch im Bade, er gehörte auch zu dem intimen Umgang!?”

„Lieber Mann, der Lieutenant war nun einmal bei seiner Mutter — und offen heraus — der Graf sah unsere Adele gern — er hat bei mir schon um ihre Hand angehalten!”

„So! Und Du!” Seine Stimme klang heiser vor Aufregung.

„Ich habe ihn an Dich gewiesen!”

„Das war Dein Glück!”

„Aber Papa, warum bist Du denn so aufgebracht? Die Halffens sind älter als wir...”

„Rede nicht über Sachen, die Du nicht verstehst! Hole mir den Adelskalender! Hörst Du nicht, den Adelskalender wünsche ich!”

„Aber lieber Felix, was soll denn das Buch? Jedes Kind weiß doch, daß die Halffens eines unserer vornehmsten Adelsgeschlechter sind, sehr angesehen und sehr reich!

„Das weiß ich so gut wie jedes Kind, aber ich weiß im Augenblick nicht, was die Gräfin Mutter für eine Geborene ist, in der heutigen Zeit muß man doppelt vorsichtig sein! Adele, das Buch!”

Adele holte eiligst aus einem anderen Zimmer den gewünschten Kalender und reichte denselben ihrem Vater. Umständlich setzte dieser den Kneifer auf und suchte lange in dem Buche, plötzlich klappte er dasselbe heftig zu, legte den Kneifer auf den Tisch und sprach im Tone der Unfehlbarkeit: „Diese Heirath ist unmöglich!”

Die Damen saßen starr und stumm vor Staunen.

„Unsere Tochter darf keine Mißheirath eingehen!”

Jetzt fand die Baronin die Sprache wieder.

„Einen Grafen Halffen heirathen, nennst Du eine Mesalliance?”

„Jawohl! Die Gräfin Mutter ist keine Geborene!”

„Aber Papa!?”

„Aber Felix!?”

„Jawohl! Hier steht es: Elisabeth, Gräfin von Halffen, geborene Neuenburg.”

„Ganz recht — ihr Vater war einer der angesebensten und reichsten Bankiers von Berlin. Das Vermögen der Gräfin soll mehrere Millionen betragen!” bestätigte die Baronin.

„Das unsere noch keine Viertelmillion! Das weiß ich alles ganz genau”, antwortete der Baron, „auch fällt es mir nicht im geringsten ein, verächtlich von den Bürgerlichen und ihrem Geld zu denken, im Gegentheil, ein braver Bürgerlicher ist mir persönlich lieber als ein adeliger Taugenichts, aber es handelt sich für mich, für uns um die Ansprüche an das Stift Sassenheim. Der Paragraph zehn der Statuten gestattet nun einmal nur Heirathen mit Gliedern von Familien, in denen keine Mißheirathen vorgekommen sind.

Aber die paar Tausend Mark Renten aus dem Familienstift spielen doch keine Rolle im Vergleich zu dem enormen Vermögen der Halffens!” betonte die Baronin mit Entschiedenheit.

„Nein, Frau! Das ist richtig! Aber ein Privatvermögen kann verloren gehen, aber ein vom Staat garantirtes Familienstift ist und bleibt ein sicheres Gut, und so lange eine Familie solche Ansprüche heilig hält, kann sie nie zu Grunde gehen! In manchen schlimmen Zeiten hat das Stift die Sassens vor dem gänzlichen Untergange bewahrt!”

Nichts konnte den Baron von seiner vermeintlich heiligsten Pflicht abbringen.

Das war eine böse Nacht. Adele weinte sich in den Schlaf, die Mutter lag wach bis in den frühen Morgen, der Oberst fuhr sehr oft auf aus unruhigem Schlummer und murmelte:

„Keine Geborene! Keine Geborene!”

„In gedrückter Stimmung und mit sehr unvortheilhafter Gesichisfarbe machte am anderen Morgen die Baronin sich auf den Weg, um der Gräfin Halffen von dem Geschehenen Kenntniß zu geben. Die Gräfin nahm die Sache ernst, Arthur aber lachte vergnügt und meinte:„Das ist ja einfach undenkbar! Eine kleine Schrulle! Pardon, Frau Baronin, aber ich vermag die Ablehnung Ihres Herrn Gemabls nicht ernst zu nehmen!”

„O. Sie kennen meinen Mann nicht! Fragen Sie nur Adele, wie ernst die Sache zu nehmen ist! Sie sitzt zu Hause und weint!”

„Was Lore weint! Kommen Sie, meine Gnädigste, ich will sofort mit Ihrem Herrn Gemahl reden, die Thränen Adelens müssen in dieser Stunde noch getrocknet werden!”

Die Baronin lächelte ungläubig über diese Voraussetzung, aber sie war dem jungen, liebenswürdigen Heißsporn zu Willen, und eine Viertelstunde später meldete sie ihrem Manne, daß Graf Arthur ihn zu sprechen wünsche.

„Wie? Was? Mich sprechen in der bewußten Angelegenheit?” Die Baronin nickte nur, sie wagte kein Wort mehr zu reden.

„Gut, gut! Nur herein mit dem jungen Herrn, ich werde schnell mit ihm fertig sein!”

Arthur trat ein, er war in voller Uniform, grüßte militärisch und wartete bescheiden auf die Anrede des alten Herrn.

Die Erscheinung des Grafen mußte dem Baron wohl Achtung abgewinnen, denn nach einer kurzen Aeußerung sagte er in merkwürdig ruhigem Tone: „Diesen peinlichen Augenblick hätten Sie uns ersparen können, Herr Graf!”

„Bedauere sehr, Herr Baron! Ehre und Pflicht geboten mir denselben herbeizuführen! Herr Baron von Sassen, ich habe die Ehre, Sie hiermit um die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu bitten!”

„Herr Graf, ich weiß die Ehre, die Sie mir und meinen Hause erweisen, voll und ganz zu schätzen, aber die Umstände zwingen mich, Ihren Antrag abzulehnen!”

„Wegen des Stiftes Sassenheim?”

„Nur deswegen!”

„Kennen Sie die Höhe meines Vermögens?”

„Ich ahne sie! Aber selbst die bedeutendsten Privatvermogen können verloren gehen, gerade die heutige Zeit zeigt es uns nur allzu oft!”

„Herr Baron, ich bin weder ein Leichtsinniger noch ein Narr, denn nur ein solcher könnte ein Vermögen wie das meine in einem Menschenalter durchbringen.”

„Herr Graf. Ehre und Pflicht gebieten mir, daß ich meinen Nachkommen die Rente aus dem Familienstift erhalte, schon oft war sie der Rettungsanker meiner Familie in schweren Kriegszeiten.”

„Ich bitte, Herr Graf, lassen wir dieses Thema!”

„Im Gegentheil!”

„Herr Graf!?”

„Ich habe Ihrer Fräulein Tochter geschworen, sie zu heirathen!”

„Gegen meinen Willen!”

„Nein, mit Ihrem Willen!”

„Unmöglich!”

„Wir wollen sehen!”

„Sie können mir glauben, daß dieser unselige Paragraph mi schon oft ein Dorn im Fleische war, weil ich wohl weiß, wie wenig zeitgemäß er ist, aber das Gesetz verbietet nun einmal jede Aenderung!”

„Und wenn ich nun einen Ausweg wüßte?”

„Ich weiß keinen — denn es gibt keinen!”

„Doch, Herr Baron, es gibt einen!”

„Unmöglich!”

„Ich gründe ein neues Familienstift — ein neues Sassenheim!”

„Wie?!”

„Adelens Nachkommen werden auch die meinigen sein — das neue Stift soll ihren Namen tragen, Herr Baron!”

„Sie wollten wirklich —?”

„Ja, ich will und kann es!”

„Ein neues Stift wollten Sie gründen?”

„Jawohl! Aber obne jenen unangenehmen Paragraphen!”

„Der manchmal Wohlthat zur Plage machte!”

„Also einverstanden?”

„Einverstanden!”

Sie reichten sich die Hände. Kräftig drückte der Baron die Rechte des Grafen: „Sie gefielen mir schon beim ersten Anblick und mein Herz blutete bei meiner Ablehnung!”

Dann ließ er die Hand des Grafen los, eilte zur Klingel und ließ dieselbe so stark ertönen, daß die Damen erschrocken in ihrem Zimmer zusammenfuhren.

„Mit einem Glas Wein wollen wir auf unser zukünftiges Familienband anstoßen!”

Ein Dienstmädchen stürzte bleich vor Schreck herbei.

„Der gnädige Herr haben geklingelt?”

„Einige Flaschen Wein! Schnell! Vom gelbgesiegelten!”

Das Mädchen eilte davon.

„Wollen wir nicht die bangenden Damen beruhigen, Herr Baron!”

„Ganz recht! Sie gefallen mir immer mehr! Sie haben Herz und Takt!”

Der Baron trat in die Thüre und donnerte mit mächtiger Stimme durch das Haus:„Auguste! Adele!”

Mutter und Tochter betraten ängstlich das Gemach, aber wie schnell heiterten sich die Mienen der Damen auf, als sie das Geschehene - - das Unglaubliche vernahmen.

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